Gfoid ma hoid...
o lieb, solang du lieben kannst
o lieb, solang du lieben magst
die stunde kommt, die stunde kommt
wo du an gräbern stehst und klagst
und sorge, daß dein herze glüht
und liebe hegt und liebe trägt
solang ihm noch ein ander herz
in liebe warm entgegenschlägt
und wer sich dir die brust erschließt
o tu ihm, was du kannst zulieb
und mach ihm jede stunde froh
und mach ihm keine stunde trüb
und hüte deine zunge wohl
bald ist ein böses wort gesagt
o gott, es war nicht bös gemeint -
der andere aber geht und klagt
o lieb, solang du lieben kannst
o lieb, solang du lieben magst
die stunde kommt, die stunde kommt
wo du an gräbern stehst und klagst
dann kniest du nieder an der gruft
birgst deine augen, trüb und naß -
sie sehn den anderen nimmermehr -
ins lange, feuchte kirchhofsgras
und sprichst \"o sieh auf mich herab,
der hier an deinem grabe weint.
vergib, daß ich gekränkt dich hab -
o gott, es war nicht bös gemeint!\"
er aber sieht und hört dich nicht
kommt nicht, daß du ihn froh umfängst
der mund, der oft dich küsste, spricht
nie wieder \"ich vergab dir längst\"
er tats, vergab dir lange schon
doch manche heiße träne fiel
um dich, und um dein herbes wort
doch still - er ruht - er ist am ziel
o lieb, solang du lieben kannst
o lieb, solang du lieben magst
die stunde kommt, die stunde kommt
wo du an gräbern stehst und klagst
Ferdinand Freiligrath