LILIAN - Tränen im Morgentau
kleiner Vorgeschmack auf meinen Fantasyroman
„Was sollte das denn eben?“, fragte Lilian verdattert. „Hm, wir
machen uns eben Sorgen um dich!“, erwiderte Ileana. „Ja ich mache
mir schön langsam auch Sorgen um mich! Werde ich jetzt
verrückt?“ „Nein, das wirst du nicht! Dafür werde ich schon sorgen!“,
grinste Ileana und nahm Lilian in den Arm. „Ich bin noch
nicht mal einen Tag hier, aber mein Leben hat sich schon völlig
auf den Kopf gestellt. Bis vor Kurzem war ich noch eine glückliche,
brave Fünfzehnjährige und schon heute bin ich eine Waise
und was noch schlimmer ist, vielleicht zum Teil ein blutsaugender
Vampir!“
„Mach dich nicht so fertig! Das ist nicht so schlimm, wie du denkst.“
„Nicht so schlimm?!“, knurrte Lilian. Ileana riss die Augen auf und
legte ihr automatisch den Arm um die Schultern. „Oje, oje. Tut
mir leid!“, seufzte Lilian und versuchte den Zorn zu unterdrücken.
„Weißt du, es ist echt gruselig, wenn du das machst! Dann werden
deine Augen blutrot! Das müsstest du mal sehen!“ „Lieber nicht!“,
grinste Lilian und drückte Ileanas Hände.
„Eine Frage hab ich noch.“
„Schieß los, vielleicht kann ich dir ja behilflich sein.“ „Ok, apropos
blutrote Augen. Warum soll ich die Abende mit Andrei verbringen?
Er ist doch nicht das, was ich denke, oder?“ „Leider Gottes ist er
doch das, was ich denke, das du denkst. Der „Fall“ von dem die
Oberin sprach 8“
„Oh“, kam die Antwort von Lilian und es war ihr unheimlich, als sie
daran dachte, wie er sie gestern beobachtet hatte. „Ist es denn dann
nicht gefährlich für die Schüler hier? Und auch für mich, wenn ich
allein mit ihm zusammen sein soll?“ „Das ist eine komplizierte Geschichte
mit Andrei, aber das soll er dir besser selbst erzählen. Bis
jetzt hat es zumindest gut geklappt mit ihm, obwohl ich mir gestern
echt große Sorgen um ihn gemacht habe!“
„Es muss ganz schön anstrengend sein, sich bei dem Haufen gut
riechenden Blutes immer unter Kontrolle zu haben!“ „Spricht da
der Vampir aus dir?“ „Vorsicht, mein Fräulein! Mach mich nicht
wütend!“, scherzte Lilian und stupste Ileana in die Seite.
...
Kurz nachdem die Beiden im Speisesaal Platz genommen hatten,
kamen auch Ronja, Gela und Ion hinzu.
Pünktlich um 14.00 Uhr tat sich die Seitentür auf, aus der am Vorabend
der Mönch getreten war. Doch heute kamen Nonnen mit
großen Tabletts und Töpfen, vollbeladen mit verschiedensten Speisen,
heraus.
Sie stellten je ein Tablett mit Obst und Gemüse, einen Topf voll
Kartoffelbrei und eine Schüssel voll Schweinefleisch mit Soße auf
die Tihe. Zu aller Überraschung trudelte nun auch Andrei ein. Er
sah nicht sehr glücklich aus, aber von den Augenringen war nichts
mehr zu erkennen.
Ein seltsames Kribbeln breitete sich in Lilians Magen aus. „Das ist
sicher nur der Hunger“, dachte sie sich, doch auch nachdem sie einen
Bissen nach dem anderen hinunterschlang, kehrte das Gefühl
zurück, sobald sie Andrei anblickte.
„Welcher Ehre haben wir es zu verdanken, dich hier zur Mittagsstunde
zu treffen?“, witzelte Ion. „Hast du auch Hunger?“ Mit einem
süTsanten Grinsen hielt er Andrei die Fleischschüssel unter
die Nase und biss selbst herzhaft in eine Tomate. Der rote Saft
tropfte ihm vom Kinn und er schlürfte, als er die Tomate aussaugte.
„Du bist heute wieder sehr liebenswürdig!“, entgegnete Andrei und
setzte sich neben Lilian und Ileana auf die Bank.
„Solche Leute helfen mir bei meiner Therapie“, flüsterte er Lilian
ins Ohr und zwinkerte.
Lilian nickte nur und stopfte sich einen weiteren Bissen Kartoffelstampf
in den Mund. Eine Weile waren alle mit Essen beschäftigt
und es herrschte Stille. Nur Andrei saß schweigend daneben und
spielte mit einem Apfel, ohne ihn zu vertilgen.
Als die Stille ihr unerträglich wurde, sagte Lilian: „Ich habe gehört,
dass du gestern mein edler Retter warst. Ich hatte noch gar keine
Möglichkeit dir zu danken, also tue ich es jetzt!“ Und noch im selben
Moment dachte sie: „Oh Mann was rede ich denn da für einen
Stuss?“ Doch Andrei lächelte nur und nickte. „War mir eine Ehre.
Was wären wir denn ohne deine violetten Augen?“
„Hey, so wortgewandt kenne ich dich ja gar nicht!“, mischte sich
Ion wieder einmal ein. „Hört endlich auf zu streiten!“, versuchte
Gela die Wogen zu glätten und tatsächlich lenkte Ion grummelnd
ein, während Andrei seinen Apfel auf den Tisch legte.
Als Lilian ihren Teller leergegessen hatte und es sich zufrieden etwas
gemütlicher auf der Bank machte, murmelte ihr Andrei zu:
„Weshalb ich eigentlich gekommen bin ist 8 Die Oberin möchte,
dass du nach dem Essen gleich nochmal zu ihr kommst.“
„Schon wieder?“, seufzte Lilian. Der Vortrag am Morgen hatte
ihr schon gereicht. „Ja. Aber sie möchte nicht, dass du in ihr Büro
kommst. Du sollst mit mir kommen, denn sie wartet schon dort
auf uns.“ „Klingt ja sehr geheimnisvoll, aber darf ich auch wissen
wo die Reise hingeht?“ Sie hatte es eigentlich nicht böse gemeint,
doch ihr Ton sprach Bände. So kannte sich Lilian gar nicht. „Hm
nein, das siehst du dann schon. Du weißt doch, wegen der Sache
mit dem Beten 8.“
Lilian nickte. Sie hatte es ganz verdrängt.
„Na dann wollen wir mal!“, sagte sie und sprang über die Bank.
„Bis später!“, verabschiedete sie sich von Ileana und winkte den
anderen kurz zu.
Auch Andrei hatte sich erhoben und Ion schickte ihm ein kurzes
„Holt euch ja keinen Sonnenbrand!“ hinterher, worauf er ein tiefes
Fauchen als Antwort erhielt.
Lilian packte Andrei am Arm und zog ihn hinter sich her zum Ausgang.
„Eines möchte ich wissen!“, fuhr sie ihn an. „Wenn ihr euch
so hasst, warum hängt ihr dann immer zusammen am gleichen
Tisch ab?“
„Naja ich bin nicht gern ein Einzelgänger. Und du musst eines wissen
8“, begann er. Doch anstatt seinen Satz zu vollenden, sagte er:
„Nicht zur Vordertür! Wir gehen durch einen Nebengang.“ Und
nun war er derjenige, der sie hinter sich herzog und auf eine kleine
Nebentür zulief. „Was muss ich wissen?“, fragte Lilian neugierig.
„Das erzähle ich dir später.“ Kaum, dass sie durch die Seitentür
getreten waren, kam ihnen eine Ordensschwester über den Weg
gelaufen. „Was macht ihr denn hier? Dieser Gang ist nur für Bedienstete!“,
sagte sie mit einem Blick an Lilian gewandt. „Schon
ok“, sagte Andrei. „Ich habe eine Erlaubnis von der Oberin, dass
ich diesen Gang nutzen darf.“ Erst jetzt merkte er, dass er noch
immer Lilians Hand umklammert hielt und er las in den Gedanken
der Nonne, dass sie die Zwei für ein Liebespaar hielt, das sich hier
Privatsphäre erhoffte. Er brach in schallendes Gelächter aus und
Lilian und die Schwester konnten ihn nur misstrauisch anblicken,
während er einen zerschlissenen Zettel aus seiner Hosentasche zog
und ihn der Ordensschwester gab. Sie las ihn schnell durch, gab
ihn an Andrei zurück und ließ sie mit großem Misstrauen passieren.
Mehrmals blickte sie den Beiden nach, während Andrei noch
immer von seinem Lachen geschüttelt wurde.
„Was ist so lustig?“, tuschelte Lilian.
„Oh ich glaube sie hat gedacht, wir würden uns hier drin vergnügen!“
Angewidert blickte sie Andrei an. „Du hast eine zu lebhafte
Phantasie mein Freund!“ „Oh nein, ich weiß sicher, dass sie das gedacht
hat!“, verteidigte er sich, ohne aber das Grinsen auf seinem
Gesicht unterdrücken zu können.
„Was? Heißt das, du kannst Gedanken lesen?“ Andrei nickte.
„Kannst du dann auch meine Gedanken lesen?“, fragte Lilian entsetzt
und blieb mitten im Gang stehen.
„Ich könnte, wenn ich denn wollte“, sagte er und wurde schlagartig
wieder ernst. „Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen.
Die Vorstellung gestern hat mir gereicht!“ „Welche Vorstellung?“,
fragte Lilian mit leichtem Unbehagen. „Hast du da etwa schon in
meinem Gehirn rumgerührt?“ „Nein“, brummte Andrei nicht sehr
überzeugend und mehr zu sich selbst flüsterte er: „Das war noch
viel tiefer. So als würde ich in deine Seele blicken und dein Leid
teilen.“ Andrei spürte wieder die Verwirrung und den Schmerz,
den das Mädchen gestern erlitten hatte. Seine Augen glühten rot
auf und er schwebte gedankenverloren den dunklen Gang davon.
Andrei achtete gar nicht darauf, dass Lilian verdattert und allein
zurückblieb.
„Hey warte!“, rief sie, als er um die nächste Ecke gebogen war. Sie
lief ihm hinterher, doch als sie ebenfalls um die Ecke kam, war er
verschwunden. „Andrei?“, rief sie zögerlich, doch sie erhielt nur
ihr eigenes Echo als Antwort.
„Andrei, das ist nicht lustig! Komm zurück!“
Schön langsam wurde ihr mulmig zumute. Sie ging den Korridor
zurück und kam an eine Abzweigung. Verwirrt blieb sie stehen.
„Ich kann mich gar nicht erinnern abgebogen zu sein.“ Wiederum
drehte sie sich um und lief wütend und mit leichtem Anflug von
Panik in die entgegen liegende Richtung davon.
Der Gang wurde immer dunkler und enger und bald lagen Gerümpel
und Steine im Weg. Sie blieb stehen und schaute sich hilfesuchend
um, doch sie war allein.
Ihr Atem ging stoßweiße, sie versuchte ruhig zu bleiben, doch das
Biest in ihr war erwacht. „Andrei! Hilf mir!“, schrie sie ein letztes
Mal verzweifelt und ihre Augen glühten auf. Sie hörte wie ihr eigener
Atem stockend und kurz kam.
Sie hatte Hunger, nein Durst!
Es dürstete sie nach Blut.
Copiright Eder Sandra!